Seit langem schon wollte ich der Nevera Höhle einen Besuch abstatten. Es handelt sich um eine Schachthöhle in der Gemeinde San Fedele Intelvi, auf der italienischen Seite des Monte Generoso.
Die Höhle ist ca. 2’300 m lang und führt über eine Serie von Schächten auf -330 m hinab. Auf -195 m befinden sich eine Serie von Siphonen, welche zu einem bislang unerforschten Höhlenteil führen. Tom Pouce vom SSS TI war 1991 der erste, der insgesamt 4 Siphons (downstream) erkundete. Er machte vor einem ca. 30 m tiefen Schacht halt, in dem der Höhlenfluss verschwand. Da ihn kurz darauf (1992) sein Schicksal in der Quelle Su Gologone/ Sardinien ereilte steht die Forschung in diesem Teil der Höhle seitdem still.
Der Eingang ist nicht leicht zu finden, zum Glück kennt Max Pellegrini die genaue Position. Von der Alpe Orimento sind es ca. 45 Minuten zu Fuss bis zum Höhleneingang. Der Marsch führt uns durch eine wirklich tolle und eindrucksvolle Landschaft!
Gegen 11 sind wir am Eingang. Mit dabei ist auch Fabio, er hat noch keine sehr grosse Erfahrung, ist aber motiviert solange man ihm was zum Essen gibt 😉
Die Engstellen am Eingang wurden allesamt von der Gruppe aus Lanzo Anfang der 90er Jahre erweitert. Einiger Sinter wurde dabei abgeräumt. Bleibt zu hoffen, dass die Kollegeg heute, 20 Jahre später, etwas schonender mit der Höhlenwelt umgehen.
Die Einrichtung der Höhle lässt zu wünschen übrig. Die Seile sind uralt. Es hatte nur ein Seil mit Jahresmarkierung…1991. Die Maillon Rapid (vermutlich kein Inox) sind bis zur Unkenntlichkeit verrostet, anstelle von Plättli wurden überwiegend Stahllaschen (ebenfalls verrostet) verwendet. Fast alle Schächte beginnen aus einem Geländer heraus mit nur einer einzigen Schachtkopfaufhängung. Die Seile sind steif und mit schleimigem, algenartigem Zeug überzogen, teilweise ist das Bremsen beim Abseilen schwierig. In diese Seile und Aufhängungen sollte man besser nicht stürzen.
Nun zur Höhle: die Nevera hat insgesamt 3 Eingänge, dementsprechend ist die Höhle im oberen Bereich ein rechtes Labyrinth. Ein Schacht nach demm anderen, verbunden mit engen Mäandern und einigen Schlufstellen. Schon bald nach dem Eingang geht es mit tollem Sinterschmuck los. Bis auf -195 m ist das einfliessende Wasser unser stetiger Begleiter, eine Seilstelle ist genau in einem Wasserfall. Endlich sind wir am Siphon des “Ramo Tom Pouce”. Es hat dort seit über 5 Jahren Tauchmaterial eines Tauchers, welcher jedoch den beiden in der Erforschung und Erhaltung der Höhle aktiven Gruppen unbekannt ist. Die Lebensmittel sind seit Jahren abgelaufen, die Flaschen total verrostet, die Karabiner korrodiert und hartgängig. Sieht nicht nach sehr viel aktueller Aktivität aus.
Der Siphon ist kristallklar, smaragdgrün und wunderschön. Der Anmarsch sowohl draussen als auch drinnen aber ist kein Klacks. Sobald meine Schulter wieder in Ordnung ist wollen Max und ich uns hier ans Werk machen, zuvor muss aber einiges in die Einrichtung investiert werden und etwas vor 20 Jahren zerbrochenes Geschirr zwischen den beiden Gruppen aufgreäumt werden.
Wir sind zwar wegen der vielen Fotos langsam vorangekommen, haben aber mit “Mitternacht” eine grosszügige Alarmzeit angegeben. Nach einer niedrigen Kriechstelle kommen wir in den fossilen Teil. Was für eine Stille! Und wieviel Sinterschmuck! Teilweise schneeweisse Stalagtiten. Wunderbar! Irgendwann wird es jedoch immer enger und plötzlich, auf -330m erscheinen im Licht meiner Helmlampe die uralten Gerätschaften meiner Tessiner Kollegen. Hammer, Schaufel, Pickel, verrostet und die Stiele vermodert. Der Gang ist bis oben hin mit Lehm verfüllt, es sieht nicht so aus als ob man hier mit vernünftigem Aufwand weiterkäme. Die Vielfalt an Sinterschmuck ist überwältigend für Monte Generoso Verhältnisse.
Da uns 330 m Höhenunterschied vom Eingang trennen beschliessen wir, bei der nächsten Halle ein Picknick zu machen. Der volle Magen macht Fabio nicht wirklich schneller und es geht recht träge voran. Im Durchschlupf zum Siphon dröhnt es plötzlich gewaltig. Als ich den Kopf durchstrecke sehe ich warum. Statt des ruhigen Wässerleins verschwindet jetzt ein reissender Bach zwischen den Felsen.Es waren doch stabile Wetterverhältnisse gemeldet! Es kommt für einen kurzen Augenblick ein wenig Sanctum-Feeling auf. In der nächsten Halle und dem darüberliegenden Schacht liegt das Seil in einem tosenden Wasserfall. Fabios Gepäck teile ich mir mit Max auf. Wir ziehen unsere Kapuzen auf und klettern etwa 20 m gegen den Wasserfall. Zum Glück habe ich einen Polartec Unterzieher an, es ist aber trotzdem arschkalt. Bei den nächsten 5 Schächten ist einzig die geringere Höhe besser.Nach 2 Stunden völliger Durchnässung sind wir in der “Fiaba antica”. Von hier ab wird es etwas besser. Hier verteilt sich das Wasser auf mehrere Gänge. Die Sturzbach-Duschen sind somit zum Glück erstmal vorbei. Gegen 21 Uhr sind wir ganz schön k.o. am Höhleneingang. Draussen regnet es zum Glück nicht mehr, aber der Waldweg ist recht rutschig. Fabio kriegt sein Gepäck zurück.
Um 22 Uhr stellen wir mit langen Gesichtern fest, dass die Beiz auf der Alpe Orimento zu ist. Ein freundlicher Anwohner lädt uns daraufhin auf einen heissen Kaffe ein. Der Haushund findet dabei Gefallen am Geruch unserer Klamotten.
Gegen Mitternacht ist meine Badewanne die letzte Etappe des Tages, ein Appenzeller Bier darf dabei nicht fehlen.
Nevera, wir kommen wieder 🙂
Start am Parkplatz der Alpe Orimento
45 Minuten Scenic Walk
Der gut versteckte Höhleneingang
Hubert in einem der ersten Schächte
Hubert und Fabio
Siphon 1 des “Ramo Tom Pouce”
Der weisse Bruder des “long dong silver”
Der Beginn des fossilen Teils auf -200m
Sinter
Sinter
Sinter im Wasser
Durchschlupf zum letzten Schacht
Der letzte Schacht auf gut -300m
Grabungsmaterial aus der Zeit der Erstbefahrung (Ende 80er Jahre)
Wieder draussen nach fast 11 Stunden