Nach Schulter-OP-bedingter viermonatiger Zwangspause konnte ich endlich wieder in Aktion treten. Ziel war die weitere Erforschung der im Golf von Orosei ins Meer austretenden Quelle Bel Torrente.
Es war geplant, den 2009 von entdeckten und bislang unerforschten Siphon 3 zu betauchen. Siphon 1 ist gut 1’300 m lang und 40 m tief, dazwischen kommt eine Trockenpassage von etwa 150 m, Siphon 2 ist etwa 700 m lang und bis zu 70 m tief, danach kommt eine etwa 500 m lange, strapaziöse Trockenpassage zum Siphon 3.
Als push diver waren Rick Stanton und Toddy Waelde geplant, meine Aufgabe wäre der Materialtransport in der zweiten Trockenpassage gewesen. Trotz bestem Sonnenschein haben Wind und Wellen unserem Vorhaben Einhalt geboten, aber nichtsdestotrotz haben wir 10 interessante Tage mit vielen Höhlentouren verbracht.
Dienstag 11. Oktober
In aller Gemütlichkeit packe ich das Auto fertig, Kreislaufgerät, Sofnolime für Toddy, 6 Stages, 2 Scooter, dry tube, Speleo Material…der Golf ist mal wieder voll bis unter das Dach. Ich kaufe noch Schweizer Käse und Schokolade für die sardischen Freunde ein und am Nachmittag geht es nach Livorno. Da die Kabinen auf der Nachtfähre trotz geringer Auslastung extrem überteuert sind gibt es eine kuschelige Nacht auf der Isomatte im Treppenhaus des zweitobersten Decks.
Mittwoch 12. Oktober
Morgens früh kommt die Fähre mit etwas Verspätung um 8 Uhr an. Bestes Spätsommerwetter, Sonne, blauer Himmel. Nach ca. zwei Stunden Fahrt bin ich in Cala Gonone, allgemeines Hallo. Toddy, Rick und seine Freundin Karen sitzen grad beim Cappuccino, eine Tauchgruppe um Achim Schlöffel macht sich gerade fertig für den zweiten Dive des Tages. Ich gehe den Tag gemütlich an, richte mich in meinem Appartement ein und anschliessend gehe ich mir die traumhaften Strände ansehen, wofür ich sonst eigentlich nie Zeit hatte.
Da für den nächsten Tag der Start der Bel Torrente Expedition geplant ist gibt es am Abend eine Lagebesprechung mit Rick und Toddy. Weil im Spätherbst die Wetterlage instabil sein kann ist der Teilnehmerkreis gegenüber der ersten Planung auf drei Mann (plus lokalen Support vom Protec-Instruktoren-Team) reduziert worden. Dies bedingt dann aber entsprechend längere Aufenthaltszeiten in der Höhle.
Der erste Siphon ist laut Aussagen der Kollegen durchgehend verleint, ob die Leine von 2009 im Siphon 2 noch intakt ist ist im Moment nicht bekannt. Geplant wäre, am ersten Tag Siphon 1 zu durchqueren, Siphon 2 mit den entsprechenden Dekogasen einzurichten, sowie ein Sneak Dive von Toddy im Siphon 3, um zu sehen, wie der Gangverlauf unter Wasser startet. Dazu sind etwa 9 bis 10 Stunden Aufenthalt in der Höhle notwendig.
Leider ist die Wetterlage unklar. Es sind “Tramontana” Winde angemeldet, welche praktisch immer mit stürmischer, welliger See einhergehen. Weiterhin kommt ein Tiefdruckgebiet auf die Küste zu, welches im schlimmsten Fall sogar Regen bringen könnte. Es besteht einerseits die Gefahr, dass das in der Höhle deponierte Material blockiert würde und andererseits das viel akutere Risiko, dass die an der Steilküste brechenden Wellen einen schwer beladenen Taucher beim Austauchen aus dem in nur etwa 3 m tief liegenden Höhleneingang erfassen und gegen die Felsen schmettern. Eine Rettung mit dem Boot wäre sehr schwierig wegen der Brandung, dazu käme noch der Fakt dass es bei der Rückkehr stockdunkel wäre.
Das Team fällt einstimmig die Entscheidung, kein unnötiges Risiko einzugehen und auf bessere Seeverhältnisse zu warten.
Donnerstag 13. Oktober
Ein strahlend blauer Tag erwartet uns. Ich nutze kurzerhand die Chance, mich der Tauchgruppe anzuschliessen. Mit Igor, einem Musiklehrer aus dem hohen Norden von Deutschland, Sidemount-Taucher und ein prima Kerl mache ich einen 150 Minuten Dive in der Cala Luna. Die Sichtweite beträgt sicher 20 Meter. Wir entschliessen uns, den “Ü40-Loop” zu tauchen, obwohl ich dafür mit meinen 36 Lenzen formaljuristisch zu jung wäre. Igor hat 4 Stages dabei, ich mein KISS und 2 Stages. Nach etwa 700 m Scooterstrecke lassen wir Scooter und 1 bzw. 2 Stages zurück. Was für ein Labyrinth aus schneeweissem Fels! Igor geht vorraus, Sidemount kommt er überall bestens durch, ich habe stellenweise etwas mehr Mühe, einmal muss ich die bailout abklippen. Nach zweienhalb Stunden Spass sind wir wieder unter dem Boot. Ich tauche noch eine Runde an der Felsenküste, als ich mich in eine Spalte zwänge kommt mir eine Moräne entgegengeflitzt und beisst etwa einen Meter vor mir ein paar Mal leer ins Wasser. Ich habe schnell kapiert und mache einen geordneten Rückzug, bevor ich hier noch aufgefressen werde.
Ich nehme ausserdem gleich die Gelegenheit beim Schopf und tausche Scooter mit Igor. Das starke Drehmoment ist beim recht kurzen bonex reference anfänglich gewöhnungsbedürftig, die Wogen in Unfernähe machen mir das Navigieren mit dem kleinen Kraftpaket nicht gerade einfacher.
Die Gruppe um Achim Schlöffel macht einen Cave Kurs, daher gibt es für sie zwei Dives. Igor und ich machen es uns auf dem Boot bequem und lassen uns die Sonne auf den Pelz brennen. Bei der Rückfahrt zum Hafen bauschen bereits die Wellen auf. Gegen abend sieht man die weisse Gischt an den Felsen.
Toddy braucht noch ein paar Sidemount Fotos für die nächste wetnotes-ausgabe und will mit Achim nochmal ins Wasser. Zwei Freiwillige, die auf dem Boot warten sind schnell verpflichtet (Igor und ich), um 19.30 geht es nochmal raus aufs Wasser. Wegen einem Blitzer der nicht blitzt und entsprechender Notoperation an Achims Kamera geht das Ganze etwas länger als geplant. Die See bauscht sich in der Zwischenzeit auf, das Boot wird kräftig durchgeschüttelt. Das Ergebnis lässt sich am Ende aber sehen, Igor und ich waren in der Zwischenzeit jedoch bereits grün angelaufen im Gesicht. Gorgonzola-Pizza und Bier machen dies aber schnell wieder wett.
Freitag 14. Oktober
Am Morgen bläst der Tramontana und die See pocht gegen die Küste. An eine Bootsausfahrt ist nicht zu denken. Aber wir finden rasch ein Alternativprogramm. Zunächst treffen wir Daniel Hutnan, den Leiter der tschechischen Tauchgruppe, die in der Bue Marino Höhle forscht. Sie haben in diesen Tagen die Erforschung des Ramo di Mezzo von 4 km auf gut 6 km vorangetrieben und via den Hasenmeier-Siphon den Ramo di Mezzo mit dem Ramo di Sud verbunden. Wir gratulieren zur gewaltigen Teamleistung.Nach etwas Fachsimpeln geht es weiter zum Büro von Leo Fancello, Leiter der Tauchkommission der SSI (Società Speleologica Italiana). Leo kennt die Höhlen der Gegend nach über 30 Jahren aktiver Forschung besser als jeder anderer. Rick ist mit einem ganzen Stapel Fragen angereist, mir wird vor lauter übersetzen fast schwindelig. Unter anderem zeigt uns Leo Original Handskizzen von Hasenmeier aus den 70ern. Im Gegenzug packen wir die Erkenntnisse aus der letzten Bel Torrente Tour von Rick und Toddy aus und schon sitzen wir über einer geologischen Karte und diskutieren eifrig. Die Sensation ist gross als Rick von einem gewaltigen Abzweiger im Siphon 2 der Bel Torrente spricht, welcher im Gegensatz zur Hauptrichtung nach Norden zielt. An der Oberfläche gibt es laut Leo eine riesige Verwerfung, welche bis zur Codula Illune zielt. Die als Spekulation abgetane Vermutung, dass alle im Meer austretenden grossen Quellen miteinander verbunden wären, könnte sich somit bestätigen. Das letzte Eis zwischen Toddy, Rick und Leo ist nun endgültig gebrochen, für 2012 wird eine Zusammenarbeit abgemacht. Nach 2 Stunden angeregter Diskussion sind alle happy und wir haben einen ganzen Stapel Ausweichmöglichkeiten für diese Woche, falls der Wind nicht nachlässt.
Für den Nachmittag gibt es ein Soft-Programm. Wir besichtigen die Schauhöhle Ispinigoli bei Dorgali. Sie beherbergt mit 38 m Höhe die grösste Stalaktitensäule Europas, die zweitgrösste weltweit. Die Höhle ist auf einer Länge von gut 15 km erforscht, in der 50 m hohen Eingangshalle führen den Besucher 280 Treppenstufen durch den Parcour. Eine Wahnsinnshöhle. In sardischem Dialekt bedeutet Ispinigoli soviel wie “Stachel im Rachen”. Auch Rick und Karen sind begeistert. Da Leo uns das Angebot gemacht hat, auch den nichttouristischen Teil der Höhle zu besuchen planen wir, irgendwann einmal wiederzukommen. Im Anschluss gibt es kühles Ichnusa Bier auf der leider sehr windigen Sonnenterasse.
Samstag 15.Oktober
Heute gibt es ein Highlight. Leo ermöglicht uns kurzerhand, in der Su Gologone Quelle zu tauchen. Rick hatte diese Quelle schon lange auf dem Radar, ich bin seit Mai im Forschungsteam von Alberto Cavedon. Toddy hat leider andere Verpflichtungen. Ein absolut blauer, glasklarer Quelltopf erwartet uns. Gegenüber Mai ist der Wasserstand um gut 3 Meter niedriger. Vom Ufer kann man im Schatten der Felswand den Höhleneingang in über 30 Metern Tiefe erahnen.
Rick hat einen Scurion-Prototyp auf dem Helm, sowie eine Armee-Test-Handlampe die mit 4’000 Lumen angegeben wird. Er taucht ein paar Minuten vor mir ab. Wir kreuzen uns später im Wasser, besser gesagt irgendwann schwimme ich in glasklarem Wasser in eine blendendweisse Lichwand hinein aus der mir eine Silhouette zuwinkt. Kaum haben sich meine Augen wieder auf meine 10 Watt HID Funzel eingestellt bin ich in der Halle auf -85m. Schneeweisser Fels, drei oder vier Abgänge im Boden und zwei grosse verleinte Kamine in der Decke. Einer davon endet blind, der andere führt zur tiefen Zone, in welcher Alberto seit 2010 die Forschung vorantreibt.
Zeit umzukehren, auf dem Rückweg schwimmen mir noch Leo und Maria entgegen und mache noch einen kurzen Abstecher in die Seehalle aus der ich zusammen mit Aldo Ferrucci im Mai den sich dorthin verirrten Mario herausbegleitet. Nach gut 2 Stunden bin ich wieder aus dem glasklaren Wasser, beim Nach-dekomprimieren an der Bar stösst auch Toddy mit dazu.
Sonntag 16. Oktober
Das Meer peitscht unverändert an die Küste, aus diesem Grund gibt es auch heute ein Alternativprogramm. Maurizio, Toddy’s Kumpel und Chef des “Argonauta Diving” erzählt uns, dass in der Höhle Sas Ballas bei Oliena der Wasserstand nach 4 trockenen Monaten so niedrig sei, dass man trocken durchkäme. Rick wird sofort hellhörig, denn der Siphon 3 ist bislang unbetaucht. Also nichts wie los, wir verteilen Rick’s Ausrüstung auf die Träger. Fatalerweise machen wir einen Zwischenstop an der Bar (“nur ein sandwich”). Einige Stunden später sind wir am relativ nah gelegenen Höhleneingang. Der Eingang ist ein enger Spalt, voller Erde und Wurzeln, nach wenigen Minuten sehen wir aus wie die Erdferkel. Nach etwas mehr als einer Stunde sind wir im Bereich der ersten beiden Siphone. Trocken durchkommen ist relativ, bei mir ging Wasser und Schlamm bis zur Hüfte, bei anderen vielleicht nur bis zum Oberschenkel. Die Gruppe ist mit um die 10 Mann relativ gross, das “touristische Interesse” ist aber begründet. Der Wasserstand ist seit Jahren nicht so tief gewesen. Die Trockenspeleos, die hier jahrelang als Sherpas geschuftet haben wollen endlich auch einmal die Bereiche hinter dem Siphon sehen. Zum Glück sind es 16 Grad in der Höhle und wir haben ja Zeit.
Siphon 3 eröffnet sich am Fusse einer senkrechten Spalte. Wir richten rasch ein Seil ein, Rick zieht sich geübt in den echt engen Platzverhältnissen um und klettert am Seil insglasklare Wasser. Kurz darauf ist er mit seiner Mono-2 verschwunden. Als er einige Minuten später wieder auftaucht sind die Hoffnungen auf einen nur kurzen Siphon zunichte. Laut Rick geht es korkenzieherartig in die Tiefe, in etwa 15 m Tiefe und nach 25 m Strecke ist Rick aufgrund der beschränkten Gasreserve gekehrt.
Auf dem Heimweg machen wir fatalerweise wieder einen Umweg über die Bar von Su Gologone. Bis wir endlich auch eine Runde Bier zahlen können vergehen Stunden.
Montag 17. Oktober
In der Nacht hat der Wind nachgelassen. Laut Vorhersage soll er sogar drehen, Mistralwind wäre genau was wir brauchen. Der glättet nämlich laut Toddy und laut der lokalen Seebären das Meer. Ich als Landei verlasse mich da auf das Urteil der Profis. Wir planen einen Vorstoss in die Bel Torrente, jedoch “all in – all out”. Ein Belassen von Ausrüstung in der Höhle will niemand riskieren, denn der Wind könnte auch wieder in die andere Richtung drehen. Wir packen das Boot und frohen Mutes geht es los. Vorbei an der Bue Marino, schon ahnen wir nichts Gutes. Vor der Bel Torrente peitschen die Wellen an die Felswand. Toddy wagt sich nur mit Nassanzug und Schnorchel zum Höhleneingang. Nach ein paar Minuten ist er gut durchgeschüttelt wieder auf dem Boot. Einstimmig beschliessen wir, dass beladen mit der kompletten Ausrüstung das geplante Vorhaben zu riskant wäre. Eine Rettung eines gegen die Felsen geworfenen Tauchers vom Boot aus wäre bei diesen Bedingungen kaum machbar. Wir kehren also zurück zum Hafen.
Was machen mit dem angebrochenen Tag…Toddy beschliesst Büroarbeiten zu erledigen, Rick möchte gerne zur Su Molente Höhle. Diese liegt im Canyon der Codula di Luna und ist vermutlich der Schlüssel zur Verbindung der beiden Systeme Su Palu/ Su Spiria und Bue Marino. Mit einer Verbindung dieser beiden würde das Gesamtsystem mit über 70 km zum längsten System Italiens werden.
Toddy und Rick haben den Eingang letztes Jahr nicht gefunden, dieses Mal haben wir aber genaue Angaben von Leo im Gepäck. Leo war zusammen mit Roberto Loru der erste Taucher in diesem System. Mit dem Auto geht es über eine für meinen Golf grenzwertige Schotterpiste bis auf ein Felsplateu auf ca. 400 müNN. Der Höhleneingang liegt auf 35 müNN. Ursprünglich wollten wir nur bis zum Siphon 1 gehen, aber “wenn wir da schon hinlaufen” meint Rick, “könnten wir doch auch gleich die ersten beiden Siphone tauchen und uns den unterirdischen Fluss anschauen”. Zwei Mann, Zwei Taucher, Zwei schwere Schleifsäcke, Null Träger. Aber Sonnenschein und gute Laune.
Die gut 350 m Höhenunterschied führen durch einen trockenen Seitenfluss der Codula. Teilweise geht es sehr steil über grosse Blöcke hinunter. Nach knapp einer Stunde sind wir unten in der Codula. Wir suchen nach den von Leo angegebenen Orientierungspunkten, irgendwann stosse ich auf einen Holzstamm an dem ein Seil angebunden ist. Das Seil verschwindet in einer engenSpalte. Etwa 5 Meter tiefer endet das Seil, von hier heisst es frei klettern. Lediglich eine Stelle ist mit einer Alustrickleiter eingerichtet, die Spalte ist dort aber so eng dass man die Füsse kaum in die Sprossen bringt. Nach etwa 30 m Höhenunterschied hocken wir im Sand und schnaufen erst mal aus.
Die Neoprenanzüge haben wir oben bereits angezogen, da es in der Höhle laut Leo zu sandig und schlammig ist und keiner von uns Lust auf eine Schleifpapier-Therapie hatte. Die 400 m Strecke bis zum Siphon 1 sind eine unglaubliche Schwitzerei. Es geht die Hälfte der Strecke kriechend vorwärts, Hände und Knie sinken dabei im weichen Sand ein. Kurz vor dem Siphon gibt es eine Halle mit dem Namen “Sala della duna”. Tatsächlich ist der Hallenboden eine gewaltige Sanddüne. Der danach folgende Kriechgang wird jedes Jahr bei den Winterregenfällen mit Sand zugespült. Eine 4 m hohe Sandsackbarriere hält den Sand vom händisch ausgegrabenen Krater zurück. Was für eine Sysiphos-Arbeit, die die sardischen Höhlenforscher hier jedes Jahr machen müssen, Hut ab.
Nach der letzten Kriechstrecke sind wir endlich am Siphon 1. Für Rick ist das Wasser noch klar, ich sehe gar nichts mehr. Zum Glück ist ein Bergsteigerseil drin und man kann sich durchziehen. Die Tauchstrecke ist etwa 10 m lang und mit unseren Mono 2 am Gürtel haben wir auch keinen grossen Platzbedarf.
Zum Siphon 2 sind es nur einige Meter, dieser ist etwa 2 m lang.
Nach dem Siphon 2 kommt eine gewaltige Seehalle. Wer hätte das gedacht bei den kleinen Gangdimensionen die hier hinführen. Es gibt zwei aktive upstream Bereiche der Höhle, einer endet unter der Codula. Genau gegenüber dem Flussbett liegt in wenigen Metern Entfernung das Ende der Bue Marino/ Ramo Sud. Der andere upstream Bereich zielt auf Su Spiria/ Su Palu. Für eine Verbindung fehlen auch hier nur wenige Meter, der nächste Vorstoss ist noch im Herbst 2011 geplant.
Zum downstream Siphon führen zwei je ca. 150 bis 200 m lange Schwimmstrecken mit einer steilen, rutschigen Rampe dazwischen. Der Fluss in dem wir schwimmen ist traumhaft schön, unsere beiden Scurion bringen eine gewaltige Menge Licht in die Gänge.
Am downstream Siphon angekommen schauen wir unter Wasser in einen gewaltigen Gang, sicher 8 m x 5 m. Dieser Siphon wurde bislang auf einer Länge von 400 m und Tiefe von 26 m erforscht. Färbetests haben ergeben, dass der Gang mit der Cala Luna Quelle, welche im Golf von Orosei im Meer austritt, verbunden ist. Die Cala Luna endet mit einem grossen Gang, welcher komplett mit gewaltigen Blöcken gefüllt ist. Dazwischen liegen 3 km Luftlinie, was für ein Potenzial für die weitere Forschung.
Nach mehr als einer Stunde Schwimmen geht es langsam an den Rückweg. Wir schauen noch geschwind die beiden Siphone der upstream Gänge an und dann geht es zurück. Nach den beiden kurzen dives und der anschliessenden sandigen Kriechstrecke sehen wir aus wie zwei panierte Wiener Schnitzel. Nach insgesamt etwa 5 Stunden in der Höhle kriechen wir aus der engen Eingangsspalte, ziehen uns um und packen unser nasses, dreckiges Material in den Schleifsack.
Für den Rückweg zum Auto brauchen wir etwas mehr als eine Stunde, dabei holt uns die Dunkelheit ein. Weil auf dem Nachhauseweg ein Supermarkt mit gekühlten Getränken liegt schaffen wir es gar nicht mehr bis zur nächsten Bar. Mit einem Bier in der Hand und einem Grinsen kreuzen wir später bei Toddy auf.
Die Wiederholungsgefahr ist gross, anstandshalber habe ich aber Leo versprochen, dass ich bei der nächsten Sandschaufel-Aktion mithelfe.
Dienstag 18. Oktober
Die Windverhältnisse sind nach wie vor nicht stabil genug, um eine 15 Stunden Tour planen zu können. Aus diesem Grund gibt es heute einen Fundive in der Bel Torrente, Ziel ist Siphon 1 zu durchtauchen und zu kontrollieren, ob die Leine am Anfang des Siphon 2 noch vorhanden ist. Mit von der Tour sind Joachim von deepstop.com, Horst, Toddy, Rick, Igor und ich. Joachim und Horst gehen gemütlich voran und legen das Primary Reel, und tauchen dann für sich alleine. Bei den anderen vieren ist es eher eine Formel 1. Irgendwie bläst mir die gestöpselte Diluentstage ab, ich halte nur 3 Minuten an und verstaue alles, die anderen sind über alle Berge. Kein Problem, an den ersten beiden “T” rechts, am dritten und vierten “T” links. Ab und an sehe ich vor mir Licht, nach einer halben Stunde Vollgas bin ich im tiefen Teil wieder bei den anderen. Nach 40 Minuten tauchen wir im Höhlensee auf.
Wir legen die Geräte ab und klettern in der Seehalle herum. Gewaltige Erosionsmarken des Wassers, Blöcke, Fossilien, Versinterungen in allen Farben und Formen, ein Traum. Der Weg zu Siphon 2 ist nicht unbeschwerlich, teilweise geht es über zwei Meter grosse Blöcke weiter. Wir schwimmen ein wenig im See des Siphons 2, leuchten in jede Nische und machen ein paar Fotos. Die Leine ist noch vorhanden, wir ziehen sie etwas strammer und verankern sie an einem Felsen.
Den Rückweg machen wir etwas gemütlicher, ich bleibe bei Rick und Igor weil die beiden gemeinsam etwa 7’000 Lumen Lichtpower haben. Ich könnte meine Funzel vermutlich ausschalten ohne einen Unterschied zu merken. Das Wasser ist glasklar, stellenweise hat es etwas Haloclyne. In Ricks Scooter dringt dummerweise etwas salziges Wasser ein. Irgendwann dreht der Propeller von alleine und man kann nur noch über den Hauptschalter abschalten. Was wichtiger ist, das Teil funktioniert tadellos bis zum Ende des Dives. Nach etwa vier Stunden in der Höhle klettern wir wieder auf das Boot.
Mittwoch 19. Oktober
In der Nacht hat sich der Wind gelegt, die Prognosen sind jedoch nach wie vor unsicher. Aus diesem Grund gibt es auch heute keinen Vorstoss in die Bel Torrente. Das Alternativprogramm lässt sich aber auch sehen, Igor und ich wollen einen Abstecher in den Ramo di Mezzo der Bue Marino machen. Wir sehen uns kurz den Plan an und beschliessen, ca. 1.7 km weit hineinzuscootern. Im Eingangsbereich ist die Sicht nicht berauschend. Haloclyne vermischt mit organischen Zersetzungsprodukten machen nach 2 Metern alles zu einem dunklen Nebel. Vor allem für den zweiten Taucher. Der Eingang zum Ramo di Mezzo wurde nach den den ersten Forschungen von Hasenmeier in der 70ern jahrelang nicht mehr gefunden. Toddy hat den Eingang vor einigen Jahren wiederentdeckt und die Information entsprechend an die tschechischen Taucher um Daniel Hutnan weitergegeben.
Wir scootern im Trüben hinein, durch Igors propwash sehe ich die ersten 10 Minuten eigentlich gar nichts ausser sein Licht und ein Stück Leine. Irgendwann wird es frischer – Süsswasser. Und somit glasklar, sicher mehr als 20 m Sicht. Nach etwa 400 m machen wir einen kurzen Abstecher in die Sehalle “Palazzo dei Cristalli”. Wow, was für ein Anblick. Stalagtiten, Stalagmitem und funkelnde Kalzitkristalle dazwischen.
Weiter geht es durch sehr abwechslungsreiche Gänge, Sinter unter Wasser, Rampen, Dünen und das alles in maximal 10 Metern Tiefe. Nach insgesamt etwa 45 Minuten scootern kommen wir in die tieferen Passagen. Es geht zwei Mal hinunter auf etwa 36 Meter und wieder hinauf auf 12 Meter. Bei der dritten, in die Tiefe führenden Rampe endet die Main line im Sand. Da wir ohnehin schon leicht über die vereinbarte Umkehrzeit sind kehren wir.
Nach etwas weniger als zwei Stunden sind wir wieder am “T”, welches den Ramo di Mezzo mit dem Ramo di Nord verbindet. Joachim und Horst schwimmen uns entgegen. Igor hat noch genug Gas, daher beschliessen wir noch einen Abstecher in den anderen Teil der Höhle zu machen. Wir scootern etwa 15 Minuten nach hinten, plötzlich zeigen die Cave Arrows in die Höhle hinein und irgendwann endet die Main Line mit einem Pfeil nach innen. Aha, wir haben also den Loop bis fast zum anderen Eingang getaucht.
Auf dem Rückweg, nach 1 Stunde und 55 Minuten verabschiedet sich mein Scooter kurz vor dem “T”.Etwa 10 Minuten schwimme ich, schaue mir einen kleinen Conger Aal an, als wir in den trüben Teil kommen wird mir das zu langweilig und ich nehme kurzerhand das Igor-bonex-Taxi. So schwer beladen geht es nicht wirklich schnell voran, etwa 20 Minuten später sind wir in der Eingangshalle.
Donnerstag 20. Oktober
Heute geht es nochmal in eine Trockenhöhle, Su Bentu bei Oliena. Ich hatte diese Höhle bereits im Mai besucht, Rick und Toddy waren schon mehrfach dort. Ziel ist das Betauchen eines ca. 80 m langen Siphons in Eingangsnähe. Heute ist Toddy dran mit Tauchen. Dieses Mal gibt es keinen Umweg über die Bar, denn am Abend sind wir bei Leo und Maria zu Hause zum Abendessen eingeladen. Die sardischen Kollegen treffen pünktlich, aber recht zahlreich ein. Rick und ich bereiten uns vor, verteilen Toddys Tauchmaterial auf drei Schleifsäcke und nachdem die Kollegen parat sind geht es ab in die Höhle. Direkt am Eingang befindet sich ein ca. 30 m hoher Schacht, danach kann man laufen bis zu einem engen Mäander. Aufgrund der Gruppengrösse kommen wir nicht sehr schnell voran. Unterhalb des engen Mäanders sind noch zwei Abseilstellen von je 10 oder 15 Metern. Nach etwa 1 Stunde sind wir am Siphon. Toddy macht sich parat und taucht ab. Die sardischen Kollegen zaubern nachdem Toddy weg ist kiloweise Essen aus ihren Schleifsäcken. Brot, Speck, Käse, Gorgonzola, frische Tomaten, Wein, nur ein Tischtuch fehlt noch. Rick beisst auf seinem zerquetschten Marsriegel herum und ich habe nur eine Tafel Schokolade dabei. Innerhalb von kürzester Zeit werden wir beide gemästet, Widerrede ist zwecklos. Als wir es uns gerade auf der Sanddüne bequem gemacht haben kommt Toddy zurück. Sein Bericht ist deckungsgleich mit dem der tschechischen Taucher, die diesen Höhlenteil vor ihm erforscht hatten. Die einzig denkbare Fortsetzung ist ein Zubringer oberhalb der Auftauchstelle, welchen Toddy ohne Seil nicht erklettern konnte.
Toddy und ich sind wieder da, Rick und ich schnappen uns die beiden schwersten Schleifsäcke und machen uns auf den Rückweg. 20 Minuten später, zum Glück ist das Schutzhaus mit den Kühlschrank nun offen, sitzen wir bei einem kalten Bier in der Nachmittagssonne. Die beiden Hündinnen machen sich einen Spass daraus uns Socken und Handschuhe zu klauen, abwechseln sind Rick und ich am Nachlaufen, teilweise in Unterhosen. Eine Stunde später kommen die anderen auch dazu und es wird wie immer gefachsimpelt.
Gegen 16 Uhr müssen wir los, wir wollen Leo und Maria nicht warten lassen. Die beiden wohnen in einem wunderbaren Landhaus ausserhalb von Dorgali. Die Zufahrtsstrasse von der Hauptstrasse ab ist zu viel für meinen Golf. Dreimal aufgesessen, alle Passagiere raus, nochmal aufgesessen, so geht das nicht. Obwohl wir zu Fuss gehen könnten kommt Leo und holt uns mit dem Landrover ab.
Gemütlich sitzen wir bei Bier und Wein im Wohnzimmer. Leo hat auch Fabio vom Tauchcenter “Dimensione Mare” (Toddys Konkurrenz) sowie Roberto Loru und seine Frau Grazia eingeladen. Noch mehr fachsimpeln, Leo holt ein paar Goodies hervor, die er in den 80ern vom Wrack der KT12 hochgeholt hat, Fabio erzählt vom Schwesterschiff der KT12, welche ein Stück weiter draussen im Meer auf etwa 80 Metern liegen sollte. Eigentlich könnten die beiden Tauchenter ein gemeinsames Projekt zur Wracksuche machen, ein tiefes Wrack würde das Angebot ganz sicher bereichern.
Desweiteren diskutieren wir natürlich über die tiefe Höhle im “Canyon” vor der Küste. Der Höhleneingang liegt in etwa 100 m Tiefe, Fabio hat die Steilwand von 40 m Tiefe bis zum angeblich gewaltigen Höhlenportal verleint. Italienische Taucher der TSA (Trimix Scuba Association) wollen demnächst hier absteigen und einen ersten Sneak Dive machen.
Im Anschluss geht es in den Speisesaal. Offener Kamin, archeologische Artefakte und Werkzeuge von alten Hirten und Bauern, an nichts fehlt es hier. Maria bewirtet uns mit Gemüse aus dem eignenen Garten, Käse und Aufschnitt, frischer Pasta mit Käse-Minz-Sauce, einem Spanferkel zum Niederknien, Süssigkeiten, Likören und allem was man sich vorstellen kann. Auch der typische Käse der Gegend mit den Würmern drin steht auf dem Tisch. Nach anfänglicher Überwindung schmeckt dieser sogar vorzüglich.
Leo unterhält uns mit Geschichten aus seiner langen Höhlenforscherkarriere, desweiteren werden Pläne zur künftigen Zusammenarbeit geschmiedet. Spät in der Nacht machen wir uns auf den Rückweg.
Freitag 21. Oktober
Heute ist der letzte Tag, daher gibt es keine grossartigen Aktionen mehr. In aller Ruhe packe ich meine Sachen und lade meinen Golf…bis unters Dach, wie immer. Im Anschluss gehe ich noch ein paar sardische Spezialitäten einkaufen, Ziegenkäse, Schafskäse, rohen Schinken, Pasta und Süssigkeiten.
Danach mache ich noch einen letzten Abstecher ins Dorf und ans Meer. Gegen 17 Uhr machen Igor und ich uns auf die Socken, um 22 Uhr startet unsere Fähre von Olbia aus Richtung Livorno. Wieder sind die Kabinen unerschwinglich teuer (100 Euro!), wieder machen wir es uns unter Deck bequem. Dieses Mal ist die Fähre aber wesentlich voller.
Samstag 22. Oktober
Nach einer Nacht auf dem Fussboden im Treppenhaus kommt die Fähre mit einiger Verspätung im Hafen Livorno an. Igor und ich helfen noch rasch einer kinderreichen Familie mit dem Gepäck, im Anschluss heisst es Tschüss sagen und ab ins Auto. 4 Stunden später stelle ich mein rammelvolles Auto daheim in die Garage. Das Auspacken verschiebe ich auf den Nachmittag.
FAZIT:
10 ereignisreiche Tage auf einer super Insel. Das geplante Ziel wurde zwar nicht erreicht und die Expedition auf nächstes Jahr August verschoben, unter dem Strich hatten wir aber eine Wahnsinns Zeit. Wir haben ungeplanterweise eine ganze Reihe von Höhlen rekognosiziert und somit bereits Pläne für die Zukunft geschmiedet.
An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten meinen Dank aussprechen. Toddy für die Organisation, dem Protec Staff, Rick für die lehrreichen Ausflüge und vielen Tipps, Leo für die Bereitstellung aller Infos und den Su Gologone Dive, Maria für die fürstliche Bewirtung bei ihr zu Hause, den sardischen Freunden für die Unmengen an Bier, und allen anderen mit denen wir diese 10 Tage verbracht haben.
Bericht von Hubert Zistler